Spannende Spurensuche

Vermächtnis sucht Herkunft

Provenienzforschung. Ein sperriger Begriff. Doch was sich dahinter verbirgt, ist oft so spannend wie ein Krimi. Es gilt viele Spuren zu verfolgen. Manche führen in die Irre, andere auf die richtige Fährte und wieder andere laufen ins Leere. Was auf den ersten Blick eindeutig erscheint, entpuppt sich auf den Zweiten als verwirrend und komplex. Und längst nicht immer steht am Ende ein eindeutiges Urteil. Wie vielschichtig das Thema ist, bringt das Museum Huelsmann anlässlich seines 25-jährigen Jubiläums unter dem Motto „Vermächtnis sucht Herkunft“ anschaulich auf den Punkt.

Plakativ auf knalligem Orange hervorgehoben, erzählen die Objekte erstaunliche Geschichten.

Prof. Dr. Hildegard Wiewelhove

Ein leerer Platz in einer Vitrine. Hier standen früher zwei Porzellanfiguren, die Anfang 2017 an die rechtmäßige Erbin zurückerstattet wurden. „Das war für uns der Anlass, das Thema Provenienzforschung anzugehen“, erzählt Museumsleiterin Prof. Dr. Hildegard Wiewelhove. „Allerdings kann das kein Museum alleine leisten. Nicht nur aus Kapazitätsgründen, sondern auch, weil es fachspezifische Forschungsmethoden erfordert.“ Als Glücksfall entpuppte sich die Förderung durch das Deutsche Zentrum Kulturgutverluste. Drei Jahre lang konnte Dr. Brigitte Reuter sich dadurch dem Forschungsprojekt zur Objektbiografie und Sammlungsgeschichte widmen. Woher kommen die wertvollen Kunstwerke im Museum Huelsmann? Welche Geschichten haben sie erlebt, bevor sie Teil der Sammlung der Eheleute Hülsmann in Hamburg wurden? Wurden sie ihren ehemaligen Eigentümern möglicherweise unter dem Druck der nationalsozialistischen Verfolgung abgepresst, enteignet oder beschlagnahmt? Handelt es sich somit um sogenannte Raubkunst und einen Fall für die Restitution? Um diese Fragen zu beantworten, suchte die Provenienzforscherin nach Indizien in Bibliotheken, Archiven und Datenbanken. Quasi nebenbei hat die Hamburgerin – die Stadt war auch der Lebensmittelpunkt der Eheleute Hülsmann – einiges über die Stifter herausgefunden. „Vorher hatten wir da nur ein weißes Blatt Papier“, so Prof. Dr. Hildegard Wiewelhove. Jetzt werden im Eingangsbereich neuste Erkenntnisse zur Biografie und der Geschichte der 1938 gegründeten Hamburger Kunsthandlung dargestellt. Ohne die gäbe es auch das Museum Huelsmann nicht. Denn 1984 fiel das umfangreiche Vermächtnis der Eheleute Hülsmann der Stadt Bielefeld zu, seit 1995 hat es in der ehemaligen Direktorenvilla der Ravensberger Spinnerei eine angemessene Heimat gefunden.

ANSICHTEN UND EINSICHTEN

25 Jahre Museum Huelsmann | Kunst + Design. Anlässlich des 25. Jubiläums blickt das Museum Huelsmann außerdem in der Turmvilla zurück auf seine Geschichte: Was macht eigentlich ein Museum für Kunst und Design? Für welche Objekte ist es zuständig und wie werden sie präsentiert? Mit einer bunten Rückschau sollen Themenpotential und Fragestellungen im Museum Huelsmann angesprochen werden. Die Plakatschau gestaltet ein Panorama der Museums- und Ausstellungstätigkeit. Werke der alten und modernen Kunst dürfen einander provokant begegnen, ergänzt durch eine bisher noch nicht öffentlich ausgestellte Auswahl an Neuerwerbungen. 20.9.20-31.1.21

Es ist schön, dass wir vieles jetzt guten Gewissens behalten dürfen, und spannende Geschichten dazu bekommen haben.

Prof. Dr. Hildegard Wiewelhove
Hildegard Wiewelhove

Übrigens hat das Museum Huelsmann als erste Kultureinrichtung in OWL mit der systematischen Erforschung seiner Sammlungsgeschichte begonnen. Mit der kritischen Überprüfung, ob die Kunstwerke möglicherweise unrechtmäßig in die Sammlung gelangt sind, will sich das Museum seiner historischen Verantwortung stellen. Für die BesucherInnen ist das die Chance, die Dauerausstellung mit ganz neuem Blick zu erkunden. Auf allen drei Etagen des Hauses verteilt begegnen ihnen 17 Stationen als auffällige Intervention in der Sammlungsausstellung. „Plakativ auf knalligem Orange hervorgehoben, erzählen die Objekte erstaunliche Geschichten“, unterstreicht Prof. Dr. Hildegard Wiewelhove. Zu jeder dieser Stationen gibt es zwei Text-Tafeln: Einmal die klassische kunsthistorische Einordnung und dann die jeweiligen Ergebnisse der Provenienzforschung. „Dabei wird schnell deutlich, dass jeder Fall anders liegt und eine differenzierte Betrachtung erfordert. Oft klingt ein ‚Ja, aber‘ durch. Und manchmal klingeln bei einem berüchtigten Auktionator alle Alarmglocken, aber der Deal war doch in Ordnung. Die Provenienzforschung hat viele Facetten, ist schillernd und oft schwer zu greifen. Das will die Ausstellung differenziert vorführen.“ Die Museumsleiterin resümiert: „Es ist schön, dass wir vieles jetzt guten Gewissens behalten dürfen, und spannende Geschichten dazu bekommen haben.“

Fallbeispiel Renaissancehumpen

Vor 1914 erworben von Alfred Pringsheim (1850-1941), der aus einer wohlhabenden jüdischen Familie schlesischer Eisenbahnunternehmer stammte. Der Mathematikprofessor ist heute vor allem noch als Schwiegervater des Schriftstellers Thomas Mann bekannt. Vor dem Ersten Weltkrieg sammelte er insbesondere Kunstgewerbe der deutschen Renaissance. 1938 wurden seine kostbaren Silber- und Goldschmiedearbeiten von der Gestapo in München beschlagnahmt.

Der Deckelhumpen wurde 1941 zusammen mit anderen Silberobjekten der Sammlung Pringsheim vom Bayerischen Nationalmuseum München erworben und bekam die Inventarnummer 41/222. Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges stellte die amerikanische Militärregierung die Sammlung Pringsheim im zentralen Sammellager Central Collecting Point Munich sicher und restituierte sie an die Erben. Im Laufe der 1950er Jahre wurde sie in deren Auftrag stückweise über die Kunsthandlung Rosenberg & Stiebel in New York veräußert. Im Besitz von F.K.A. Huelsmann nachweisen lässt sich der Deckelhumpen erst ab März 1963 durch eine illustrierte Firmenanzeige in der Zeitschrift Weltkunst. Als ehemaliges NS-Raubgut an die rechtmäßigen Eigentümer zurückerstattet, wurde er von F.K.A. Huelsmann rechtmäßig erworben. Somit ist die NS-Provenienz als unbedenklich einzuordnen.

Fallbeispiel Altarleuchter

Vor 1937 erworben von Harry Fuld Jr. (1911-1963). Harry Fuld Jr. erbte 1932 größere Anteile des Familienunternehmens Deutsche Privat Telephon Gesellschaft H. Fuld & Co. in Frankfurt am Main. Der jüdische Konzern wurde 1936/37 arisiert und Harry Fuld Jr. emigrierte nach England. Vom 27.-29.1.1943 wird die beschlagnahmte Kunstsammlung, die nach der 11.
Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom 25. November 1941 mit der erzwungenen Ausbürgerung dem Deutschen Reich verfallen war, bei Hans W. Lange in Berlin angeboten. Sowohl die einliefernde Instanz, wie auch der Käufer sind aufgrund der nicht erhaltenen Akten nicht zu ermitteln. Erst im März 1968 sind die beiden Tischleuchter wieder nachweisbar. In der Auktion vom 20.-22.3.68 werden sie von F.K.A. Huelsmann bei Adolf Weinmüller erworben. Der annotierte Name des Einlieferers „Fuld“ lässt aktuell die Vermutung zu, dass die beiden Altarleuchter nach 1945 an Harry Fuld Jr. restituiert wurden, um dann später im Münchner Kunsthandel verkauft zu werden. Damit wäre die Provenienz unbedenklich. Da die Recherche jedoch auch die Suchmeldung von 2007 in der Lost-Art Datenbank LA_ID 388610 ermitteln konnte, ergibt sich ein bedenklicher Sachverhalt. Das Museum Huelsmann wird sich zeitnah mit den Erben in Verbindung setzen, um weitere Informationen zum Schicksal der beiden Altarleuchter nach 1945 zu erfahren.

Fotos: Stefanie Gomoll, Klaus Hansen, Max Ernst Stockburger

Text: Stefanie Gomoll

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