Kultur auf Wanderschaft

„BIELEFELD IST SO REICH AN KUNST UND KULTUR“, SCHWÄRMT GÜLHATUN AKBULUT-TERHALLE. UND DIE KOORDINATORIN FÜR KULTURELLE BILDUNG DES KULTURAMTES MUSS ES WISSEN. PENDELT SIE DOCH BEREITS SEIT ETLICHEN JAHREN ZWISCHEN IHRER WAHLHEIMAT BERLIN UND BIELEFELD. HIER ORGANISIERT SIE FEDERFÜHREND DEN „KULTURRUCKSACK“ – EIN PROJEKT DES LANDES NRW, UM KINDERN VOR ALLEM AUS BILDUNGSBENACHTEILIGTEN SCHICHTEN TEILHABE AN KULTUR ZU ERMÖGLICHEN.

Im Rahmen des Landesprogramms – Bielefeld hatte sich seinerzeit erfolgreich als Pilotstadt beworben – entstand das Konzept „Kulturwandertage“. Seit 2012 finden die beliebten Wandertage ein Mal im Jahr im Herbst statt – im Jahr 2021 vom 27.9. bis zum 8.10. Über 55 Künstlerinnen und kulturelle Einrichtungen der Stadt beteiligen sich daran und bieten den Kindern im Alter von 10 bis 14 Jahren ein maßgeschneidertes Angebot. „Die Schülerinnen und Schüler bestimmen die Inhalte selbst“, berichtet Gülhatun AkbulutTerhalle. „Manche Künstlerinnen besuchen vorab die Klasse, stellen sich vor und greifen die Vorschläge der Kinder und Jugendlichen auf, die dann bei den Wandertagen umgesetzt werden.“ Die Möglichkeiten sind facettenreich: Tanzen, Malen, Musizieren, Cartoons zeichnen, Theater spielen, lernen, wie ein Film entsteht und vieles mehr steht auf dem Programm. Mit viel Spaß an der Sache, außerhalb der Schule und ohne Druck und Benotung.

ALLE KINDER MITNEHMEN

Das Ziel ist es, auch Kinder für Kultur zu begeistern, deren Eltern aus verschiedenen Gründen von Kultur ausgeschlossen sind. „Die Kulturwandertage sind bewusst so angelegt, dass die Kinder gemeinsam in ihrem Klassenverband ein Angebot wahrnehmen. In der Schule haben alle Kinder, egal aus welcher Familie sie stammen, die gleichen Chancen. Wenn man darauf wartet, dass die Eltern in der Freizeit mit ihren Kindern etwas unternehmen, kann es sein, dass das nicht passiert“, erklärt die studierte Soziologin. „Und genau diese Kinder und Jugendlichen möchten wir mitnehmen. Schule ist eine gute Möglichkeit einen Zugang zu ihnen zu bekommen. Viele Eltern ermöglichen ihren Kindern Kulturelle Bildung, viele eben aber auch nicht.“ Manchmal scheitert es am Geld, aber häufig daran, dass die Eltern sich in den Kultureinrichtungen nicht willkommen fühlen oder auch gar nichts von den ganzen Angeboten wissen, die es in der Stadt gibt. Kinder dieser Familien sind schwer zu erreichen, aber dafür gibt es ja die Kulturwandertage, um Kulturelle Bildung zu ermöglichen. Diese ist ungemein wichtig für die Persönlichkeitsentwicklung. „Wenn die Kinder bei dem Projekt etwas geschafft haben, ein Bild gemalt, einen Film geschnitten oder ein Theaterstück einstudiert haben, gibt ihnen das ein unglaubliches Selbstbewusstsein“, so Gülhatun Akbulut Terhalle, die selbst Mutter von zwei Kindern ist.

FÜR EIN SELBSTBESTIMMTES LEBEN

Die Teilnahme an den Kulturwandertagen ist für die Kinder und Jugendlichen kostenfrei. Gülhatun Akbulut-Terhalle übernimmt die Organisation und Koordination, versucht es den Lehrkräften so einfach wie möglich zu machen und kümmert sich auch um etwaige Fahrtkosten. Darüber hinaus gibt es auch kulturelle Veranstaltungen in den Ferien, die mit einer Abschlussveranstaltung, bei der auch die Eltern eingeladen sind, enden. Bei dieser Gelegenheit präsentieren die Kids ihre Erlebnisse mit Fotos, Kurztexten, Statements oder einem selbstgedrehten Video. Kultur bietet die Möglichkeit, sich damit auseinanderzusetzen, wie man selbstbestimmt leben möchte und natürlich auch, wie wir als Gesellschaft, in einer Gemeinschaft, leben möchten. „Wenn bestimmte Gruppen aus diesem Diskurs gänzlich ausgeschlossen sind, wird es mit dem Zusammenleben schwierig“, sagt die 59-Jährige, die es bedauert, dass unter den an den Kulturwandertagen beteiligten Künstler*innen nur sehr wenige dabei sind, die einen Migrationshintergrund haben. Wenn die Kinder bei den Kulturwandertagen gemeinsam an einem Projekt arbeiten, hat das ganz nebenbei diverse Lerneffekte. „Man lernt nicht nur, wie man sich einem Problem nähert, sondern die Kinder lernen auch voneinander – und müssen Rücksicht nehmen. Sie schaffen gemeinsam etwas. Dieses Miteinander ist für die Persönlichkeitsentwicklung und bezogen auf die künftige Arbeitswelt sehr wichtig.“ Die Projekte finden nach Möglichkeit außerhalb der Schulen statt, damit die Kinder und Jugendlichen die kulturellen Einrichtungen der Stadt kennenlernen und im Idealfall so begeistert sind, dass sie auch in ihrer Freizeit die Angebote wahrnehmen.

IMMER AM BALL BLEIBEN

Und was könnte noch getan werden, um Kinder aus bildungsbenachteiligten Familien besser anzusprechen? „Die Kultureinrichtungen müssen sich noch weiter öffnen und ihre Angebote so konzipieren, dass sich damit auch Menschen aus bildungsbenachteiligten Schichten angesprochen fühlen“, so die Koordinatorin. „Das ist eine Aufgabe für die Politik, denn die Stadt gehört uns allen.“ Aber manchmal sind es kleine Details, die eine große Wirkung erzielen. „Ich war einmal mit meiner Tochter, die an der Universität Saarland studiert, im saarländischen Stadttheater. An der Außenwand des Theaters stand mit großen Buchstaben „Willkommen“ in mehreren Sprachen, unter anderem auch in meiner Muttersprache. Das hat mir gut gefallen.“ Wichtig sei es, dass alle gesellschaftlichen Gruppierungen miteinander ins Gespräch kommen. „Damit könnte man ganz einfach schon im Kindergarten anfangen und einen Raum im Eingangsbereich einrichten, in dem die Eltern sich ganz informell und auf persönlicher Ebene austauschen können. Miteinander ins Gespräch kommen, sich besser kennenlernen. Das würde auch in Grund- und weiterführenden Schulen funktionieren“, ist Gülhatun Akbulut-Terhalle, die lange Zeit im Jugendamt und auch im Amt für Schule der Stadt Bielefeld tätig war, bevor sie 2018 ins Kulturamt wechselte, überzeugt. In drei Grundschulen in Vierteln mit sozial benachteiligten Menschen wurde jetzt die Idee der Eltern-Cafés wiederbelebt. „Man muss immer am Ball bleiben“, so die Koordinatorin, „sonst bewegt sich nichts.“

„Die Möglichkeiten sind facettenreich: Tanzen, Malen, Musizieren, Cartoons zeichnen, Theater spielen, lernen, wie ein Film entsteht und vieles mehr steht auf dem Programm.“

MITEINANDER GESTALTEN

Menschen zusammenbringen und Netzwerke knüpfen – das gehört zu den Aufgaben der in Sachen Kulturelle Bildung engagierten Frau. Sie spricht gezielt Schulen an, hält Kontakt zu den Kulturbeauftragten der Schulen, bringt interessierte Lehrkräfte und Künstlerinnen mit den entsprechenden Angeboten zusammen. „Ich wurde mal von einem Lehrer angesprochen, der zusammen mit seinen Schülerinnen den Schulgarten verschönern wollte. Da konnte ich den Kontakt zu einem Bildhauer vermitteln. Und nun steht dort auf dem Schulgrundstück eine sehr schöne Statue“, freut sich die 59-Jährige. Darüber hinaus ist Gülhatun Akbulut-Terhalle verantwortlich für die Umsetzung des Gesamtkonzeptes Kulturelle Bildung in Bielefeld, das bei einem landesweiten Wettbewerb in 2019 ausgezeichnet wurde. So hat sie gemeinsam mit einer Arbeitsgruppe ein Fortbildungskonzept erarbeitet, das bei einem landesweiten Wettbewerb ausgezeichnet wurde. Das Preisgeld von 15.000 Euro wird nun für Fortbildungsmaßnahmen von Erzieherinnen, Lehrkräften, Künstlerinnen und Interessierten verwendet, um die Kompetenzen der Akteur*innen in der Kulturellen Bildung zu erweitern. Die Maßnahme startet im Herbst 2021. Auch hier geht es in verschiedenen Modulen darum, wie man alle Kinder und Jugendliche erreichen kann, um ihnen Teilhabe an Kultureller Bildung zu ermöglichen. Welche Angebote wie gestaltet sein müssten und welche Rolle dabei – auch vor dem Hintergrund der Corona Pandemie – digitale Formate spielen könnten.

Fotos: Max Burow

OFFEN FÜR NEUE IDEEN


DIE „NACHT DER KLÄNGE 2023“ ENDETE MIT EINEM BESUCHERREKORD.

Spektrum – JOSEF SCHULZ


So erhält die Architektur einen skulpturalen Charakter“, sagt Josef Schulz. Der erstaunliche Effekt zeigt sich, wenn selbst Bielefelderinnen das markante Sennestadthaus nicht auf Anhieb erkennen.

Große Erwartungen


Die Realität des Steckrübenwinters 1919 in Berlin trifft in „Madame Dubarry“ auf das elegante Rokoko eines märchenhaft imaginierten vorrevolutionären Zeitalters. Ernst Lubitsch zeigt den Aufstieg und Fall einer jungen Hutmacherin zur Mätresse des französischen Königs und mächtigsten Frau Frankreichs. „Die Stadt ohne Juden“ von K. H. Breslauer hingegen ist ein Titel, der uns heute das Blut in den Adern gefrieren lässt. 1924 gedreht, nach fast 100 Jahren wiederentdeckt und restauriert, nimmt der Film zum ersten Mal überhaupt das Thema Antisemitismus auf und setzt es in eine satirische Dystopie von unfassbarer Hellsichtigkeit über die Hetze gegen Juden um. Anders als in der Realität wenige Jahre später geht die Filmgeschichte jedoch besser aus. Der Massenhysterie folgt die Ernüchterung. Ohne Juden wird alles schlimmer in Utopia. Weiter geht’s mit dem „Kino für Kurze“, einem amüsanten Kurzfilmprogramm für die ganze Familie, gefolgt von „The Goose Woman“.

Forum Bielefeld


WEITER GEHT’S Seit des Lockdowns war man im Forum nicht untätig. Aufgehübscht und in (fast) neuem Glanz wartet die Veranstaltungsstätte nun auf Besucher. Die Parkplatzkonzerte waren schon eine gute Einstimmung.…