SOL GABETTA

Auf den Spuren von Lise Cristiani

Bühne frei für Frauen am Cello! Sol Gabetta zählt zu den ganz Großen ihrer Zunft: Mit Präzision, Leidenschaft und unermüdlicher Neugier hat sich die argentinisch-schweizerische Cellistin weltweit einen Namen gemacht. Jetzt begibt sie sich mit ihrem Cello in der Rudolf-Oetker-Halle durch Raum und Zeit. In ihrem neuen Programm spürt Sol Gabetta der Geschichte Lise Cristianis nach und gestaltet einen Konzertabend rund um das Repertoire ihrer mutigen Vorgängerin. Die erste bekannte professionelle Cellistin der Musikgeschichte.

Gemeinsam mit ihrem Ensemble, der Cappella Gabetta, nimmt Sol Gabetta die BielefelderInnen mit auf eine musikalische Reise – zurück in die Mitte des 19. Jahrhunderts. Heute kaum mehr vorstellbar, war eine Frau am Cello damals nämlich eine Sensation – oder vielmehr ein Skandal. Denn Lise Cristiani – so der Künstlername von Elise Chrétien-Barbier – verstieß gegen ein ungeschriebenes Gesetz der bürgerlichen Musikkultur: Vom öffentlichen Gebrauch der Musikinstrumente hatten Frauen sich fernzuhalten. Lediglich Harfe und Klavier galten als einigermaßen „schicklich“. Beim Gedanken an eine Frau, die ein vor allem männlich konnotiertes, tiefes Instrument spielt, fielen einige Menschen im Publikum fast in Ohnmacht. Kritiker zweifelten daran, dass zarte Frauenhände die tiefen Töne überhaupt erzeugen könnten. Noch dazu galt das tief tönende Instrument als zu körperlich und damit zu „unsittlich“ für eine Dame. Als eine der ersten trat Lise Cristiani deshalb mit einem Instrument auf, das mithilfe des heute üblichen Stachels auf dem Boden fixiert werden konnte und damit mehr Bewegungsfreiheit für die Solistin sowie das Tragen weiter Röcke ermöglichte.

Die Wiener Musikzeitung äußerte sich 1844 trotzdem sichtlich irritiert und spitzzüngig: „Eine Violoncellistin!!! Das sind die Früchte der Frauen-Emanzipation!“ Lise Cristiani ließ sich nicht beirren. Die 1827 in Paris geborene Musikerin tourte als junge Frau mit großem Erfolg durch Europa, spielte in Frankreich, Deutschland, Skandinavien – und reiste bis in den fernen Osten Sibiriens. Das Publikum bestaunte sie, teils mit echtem Interesse, teils aus reinem Voyeurismus. Doch Lise Cristiani überzeugte durch ihr Können. Aus dem Begaffen wurde zunehmend Bewunderung. Ihre musikalische Klasse bescheinigte ihr kein Geringerer als Felix Mendelssohn Bartholdy, der ihr nach einem gemeinsamen Konzert seine „Romance sans paroles“ widmete – das einzige Lied ohne Worte für Cello, das er je schrieb. Heute ist das Violoncello von Lise Cristiani, gefertigt hat es der italienische Geigenbauer Antonio Stradivari, in einer gläsernen Vitrine im Museo del Violino in Cremona zu bewundern.

Sol Gabetta, die sich der faszinierenden wie tragischen Geschichte ihrer Vorreiterin angenommen hat, präsentiert mit ihrem neuen Programm weit mehr als einen Konzertabend – es ist eine künstlerische Hommage, eine Zeitreise, eine Rückeroberung vergessener Bühnen. Mit Werken von Schubert, Offenbach, Mendelssohn und Francois Adrien Servais – dem „Paganini des Cellos“ – zeichnet sie musikalisch das Leben von Lise Cristiani nach: Eine Frau, die sich mit Talent und Tatendrang durch eine von Männern dominierte Musikwelt kämpfte. Doch bereits 1853 mit nur 27 Jahren auf ihrer Rückreise aus Russland an Cholera verstarb. Aber mit einem bleibenden Vermächtnis.

In der Tradition der virtuosen Salons des 19. Jahrhunderts bringt Sol Gabetta mit ihrem Ensemble diese vergessenen Klänge auf die Bühne und damit zurück ins Licht. Gemeinsam mit der Cappella Gabetta, einem handverlesenen Kammerorchester, das sie mit ihrem Bruder Andrés, er gilt als brillanter Barockviolinist, gegründet hat, interpretiert sie Musik der Romantik – detailverliebt, klanglich fein ausbalanciert und mit einem besonderen Gespür für historische Tiefe. Und obwohl ein Weltstar am Cello, sieht sich Sol Gabetta auch nach mehr als 20 Jahren immer noch als Suchende: nach dem eigenen Klang, der treffenden künstlerischen Aussage und nach Werken, die dem gewaltigen Ausdrucksreichtum ihres Instrumentes gerecht werden. Dabei wurde sie längt für ihre außergewöhnlichen künstlerischen Leistungen, Visionen und Kreativität, die einen bedeutenden Beitrag zum kulturellen Leben Europas geleistet haben, ausgezeichnet: 2024 mit dem Schweizer Musikpreis und 2022 mit dem Europäischen Kulturpreis. Ihr aktuelles Programm ist ein erneuter Aufbruch und gleichzeitig eine Hommage an eine vergessene Pionierin. Sol Gabetta haucht Lise Cristiani neues Leben ein. Und zeichnet dabei ein musikalisches Bild einer Frau, die den Mut hatte, Konventionen zu sprengen, sich Raum zu nehmen, wo keiner vorgesehen ist – und dabei Kunst zu schaffen, die bleibt. Bühne frei also für eine Frau, die Geschichte schrieb. Und für eine Musikerin, die sie weitererzählt.

Tipp:

ARTE Dokumentation: Mit dem Cello ans Ende der Welt – Sol Gabetta auf den Spuren von Lise Cristiani

Text: Corinna Bokermann
Foto: Kaupo Kikka

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