Bielefelder Kulturpreis 2023 FÜR SABINE FELDWIESER

„DER WIND BLÄST AUCH INS GLÜCK“

EIN MAL IM JAHR WIRD SABINE FELDWIESERS KÜCHE ZUM AUSTRAGUNGSORT LEBHAFTER DISKUSSION, BEI DER ES UM LITERATUR GEHT. EINE INSGESAMT 5-KÖPFIGE FACHKUNDIGE JURY WÄHLT DIE PREISTRÄGER*INNEN DES LITERATURWETTBEWERBS DES VEREINS „DIE WORTFINDER E.V.“ AUS. IN DIESEM JAHR HATTEN DIE JURYMITGLIEDER DIE HERAUSFORDERNDE AUFGABE AUS RUND 1.250 BEITRÄGEN VON 750 AUTORINNEN UND AUTOREN AUS DEUTSCHLAND, ÖSTERREICH UND DER SCHWEIZ DIE GEWINNER ZU KÜREN.

„Manchmal gehen unsere Sitzungen bis tief in die Nacht hinein“, lacht Sabine Feldwieser, die den gemeinnützigen Verein 2010 gründete, um die literarischen Ausdrucksmöglichkeiten und das kreative Schreiben von Menschen mit geistigen und psychischen Beeinträchtigungen zu fördern. Für dieses außerordentliche Engagement bekam die „Oberwortfinderin“, wie sie sich scherzhaft bezeichnet, den Bielefelder Kulturpreis 2023 verliehen. Eine Bestätigung und Anerkennung ihrer Arbeit.

Die ausgewählten Beiträge des Literaturwettbewerbs werden seit
2011 jedes Jahr in einem liebevoll gestalteten Wandkalender veröffentlicht, der für 2024 den schönen Titel „Der Wind bläst auch ins Glück“ trägt. Erstmals konnten hierbei auch dementiell erkrankte Menschen teilnehmen.

Bis der Wandkalender im Druck ist, beworben und versendet wird, ist es schon an der Zeit, an die Ausschreibung für den nächsten Literaturwettbewerb zu gehen. Ein Thema muss gewählt und gefunden werden. In diesem Jahr war es „Gefühlsachterbahn & Gedankenkarussell – Über das Fühlen und über das Denken“. „Meine Aufgabe ist es, in einem umfangreichen Schreiben an die Begleitpersonen in den Einrichtungen zunächst deren Horizont zu weiten“, erklärt die gebürtig Schwäbin, die Anfang der 1990er Jahre in Bielefeld eine zweite Heimat fand. „Denn es sind die Begleitpersonen, die mit den Menschen arbeiten. Das Thema ist immer bewusst offen gefasst und lässt viel Spielraum.“

Bunte Vielfalt

So entstehen ganz unterschiedliche Texte. Eine philosophische Betrachtung über Für und Wider von Sehnsucht, ein Eifersuchts-Rap oder poetische Verse über das Hoffnung gebende Vögelchen Neffoh stehen gleichberechtigt neben der Schilderung, welche unterschiedlichen Gefühle ein Fußballspiel auslösen kann. Der Wandkalender bietet jede Woche neben Zeichnungen einen Text – manchmal sind es auch mehre – aus der reichhaltigen Mischung. Ganz „KunterGunt“, so der Kalendertitel aus 2023.

Jedes Jahr werden viele tausend Behinderteneinrichtungen, Förderschulen etc. zum Literaturwettbewerb eingeladen. Nicht alle reichen die für die Teilnahme nötigen Unterlagen vollständig ein. „Da muss ich immer mehr Augen zudrücken, als ich habe“, schmunzelt Sabine Feldwieser, die bei der Vorauswahl in ein wahres Meer an Texten eintaucht. Eigens dafür hat sie sich sechs Klapptische angeschafft, um strukturiert arbeiten zu können und um den Überblick zu wahren. Bei der Sichtung erlebt sie häufig Überraschendes und erfreut sich an der Kreativität der Autorinnen und Autoren. „Ich bekomme Worte geschenkt“, sagt Sabine Feldwieser. Nach ihrer Berufsbezeichnung gefragt, stutzt sie kurz. „Ich bin Kunst- und Schreibassistentin, Katalysatorin, PR- und Projektmanagerin, Grafikerin, Lektorin, Herausgeberin, Buchhalterin und vieles mehr“, berichtet sie mit einem Lachen. „Dafür gibt es eigentlich keinen Begriff.“

Früher hätte man Mädchen für alles gesagt, heute nennt man eine Frau mit so viel Energie, Empathie und Organisationstalent wohl eher Allround Genie.

Heraus mit den Sprachen“
Auch denen eine Stimme geben, die sonst kein Gehör finden: Das ist die Idee hinter „Heraus mit den Sprachen“. An dem Sammelband des Vereins „Die Wortfinder“ haben rund 700 Menschen mit und ohne kognitive Behinderungen gearbeitet. Zehn Künstlerinnen und Künstler malten Bilder, auf die die Autorinnen und Autoren in inklusiven Schreibwerkstätten mit Texten reagierten. Die Idee war, dass Menschen, die selbst nicht sprechen und schreiben können, mit ihrer Bildsprache andere Menschen ins Schreiben bringen. Das Ergebnis kann sich sehen lassen – auf 496 Seiten mit Schwarz-Weiß Fotografien von Veit Mette sowie einleitenden Worten von der Projektleiterin Sabine Feldwieser, der Schauspielerin ChrisTine Urspruch und dem Literaturkritiker Volker Weidermann.

Selbstwirksamkeit stärken

„Nach der Schulzeit wird das Schreiben von Menschen mit Behinderung nicht mehr gefördert“, stellt die Wahl-Bielefelderin fest. „In unseren Köpfen ist das Bild fest verankert, geistig behinderte Menschen können nicht schreiben. Und oft traut man ihnen auch das Denken nicht zu.“ Sabine Feldwieser tritt mit ihren Literaturwettbewerben eindrücklich den Gegenbeweis an. Ihre Initiative bewirkte, dass sich in den vergangenen Jahren in der DACH-Region unzählige Schreibgruppen gegründet haben.

Das Schreiben löst in jedem Menschen etwas anderes aus. „Wenn ich schreibe bin ich ganz Mensch und nicht behindert.“; „Schreiben macht mich stolz.“; „Schreiben verschafft mir Respekt.“, nennt Sabine Feldwieser beispielhaft ein paar Aussagen. „Oft sind die Autorinnen und Autoren selbst ganz erstaunt, dass sie diesen Text geschrieben haben. Die Gewissheit, dass ihnen jemand zuhört, dass sie wahrgenommen werden, dass sie einen eigenen Ausdruck durch Sprache gefunden haben, empfinden sie als befriedigend. Und es macht sie glücklich, den eigenen Text gedruckt zu sehen. Oder laut bei einer Lesung zu hören. Manchmal bewirkt das Schreiben auch, dass Kinder dadurch von ihren Eltern noch einmal anders wahrgenommen werden. Das gilt auch für die Begleitpersonen in den Einrichtungen.“

Und so ist auch die Preisverleihung am 14. September 2023 in der Stadtbibliothek ein Zeichen der Wertschätzung für die kreative Leistung der Autorinnen und Autoren. Und direkt nach der feierlichen Veranstaltung werden meist noch nachts hunderte bereits gepackte Pakete mit den Literarischen Wandkalendern ins Auto geladen, damit sie am nächsten Tag auf Reisen gehen können. Und nach dem Kalender ist vor dem Kalender.

Mehr Infos und Bestellmöglichkeiten für Wandkalender, Postkarten und
andere Publikationen unter http://www.diewortfinder.com

Text + Foto: Eike Birck

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