JOCHEN VAHLE

Kreativität trotz Krise

„Wenn ich gewusst hätte, was ich damit lostrete, wer weiß, ob ich es gemacht hätte“, lacht Jochen Vahle. Was war passiert? Zu Beginn des Lockdowns im März 2020 hatten sich zwei Mütter an den Sänger der Bielefelder Kinderrockband Randale gewandt, ob er ihren Kindern, die ja nun die ganze Zeit zu Hause wären, nicht ein Geburtstagsständchen per Telefon singen könnte. Gesagt, getan. Die Kids waren begeistert. Und so entstand die Idee zum „Randale-Geburtstagsservice“, der über Facebook rasche Verbreitung fand.

Zwischen dem 21. März und dem 15. Juli tätigte Jochen Vahle 625 Anrufe, manchmal waren es 12 an einem Tag. „Das war total schön und zum Teil auch wirklich bewegend, wie die Kinder sich gefreut haben.“ Sei es bei einem Kleinkind zum ersten Geburtstag, da hatten eher die Eltern Spaß, als auch zum 90. Geburtstag der Oma – ein Geschenk der Enkel. Manchmal war auch ein frustiger Moment dabei, wenn der Onkel aus Harsewinkel seinem 13-jährigen Neffen aus Stuttgart das RandaleGeburtstagslied geschenkt hat, der noch nie von der Bielefelder Band gehört hatte und nicht wirklich etwas damit anfangen konnte. „Für mich war auch völlig klar, dass ich dafür keinesfalls eine Rechnung schreibe“, so Jochen Vahle. „Wir haben die Eltern gebeten, in unserem Online-Shop zu gucken, ob sie vielleicht dort ein T-Shirt oder eine CD als Geschenk für ihr Kind finden könnten.“

Die Resonanz war überwältigend. Gerade vor Ostern zog der Umsatz im bandeigenen Shop kräftig an. So konnten sich die Musiker, die normalerweise rund 100 Auftritte im Jahr in ganz Deutschland absolvieren, in der Zeit ohne Konzerte über Wasser halten. „Wir haben großes Glück mit unserer Sparte Kinderrockmusik, denn wir konnten auch mit Merchandisingartikeln Umsätze erzielen. Das sieht bei darstellenden Künstlern, die ausschließlich ihre Eigenleistung anbieten, schon ganz anders aus“, resümiert der Künstler, der zugleich auch als Konzertveranstalter bei der Agentur Newtone tätig ist. Dort, im Veranstaltungsbereich, herrscht seit Corona eher Stillstand. „Wir hatten ein Konzert mit Bodo Wartke für den 12. März in der Stadthalle geplant, das wir erst in den September 2020 verlegt haben und nun um ein Jahr auf den 25. September 2021 verschieben mussten, weil abzusehen war, dass Veranstaltungen in der Größenordnung mit den geltenden Abstandsregeln nicht zu vereinbaren sind. Wir haben ja schon weit über tausend Tickets verkauft.“ Randale musste etwa 60 bis 70 Auftritte in diesem Jahr absagen oder in den Herbst verschieben, wobei immer noch fraglich ist, welche tatsächlich stattfi nden können.

Neue Formate – neue Erfahrungen Not macht bekanntlich erfi nderisch und so wurde im Sommer 2020 das gute alte Autokino als neues Veranstaltungsformat entdeckt. Auch Randale stand vor den Autos auf der Bühne. „Das haben wir drei Mal gemacht“, berichtet Jochen Vahle.

„Zwei Mal war es richtig gut, da haben wir vor 50 Autos gespielt und die Leute hatten auch total Bock. Aber bei einem Auftritt in Norddeutschland war es irre heiß und auch nur 11 Autos da. Aber das passiert auch mal bei normalen Konzerten, dass ein Auftritt nicht so gut läuft.“ Nach Möglichkeit hat Randale alle Anfragen bedient und überall mitgemacht. Konzerte mit begrenzter Personenzahl, Abstand und unter Einhaltung der Hygieneregeln dürfen momentan durchgeführt werden. Deshalb hat Jochen Vahle wenig Verständnis für Künstler, die diese Chance nicht wahrnehmen und sagen, dass sie unter diesen Umständen nicht arbeiten könnten.

Mit der Unterstützung der Sponsoren Volksbank Bielefeld-Gütersloh und der BGW, die die Hälfte der Gage übernommen haben, und in Kooperation mit dem gemeinnützigen Verein „OWL zeigt Herz“ – Randale ist Pate des Projekts „Musik macht Kinder stark“ – bespielte die Bielefelder Band 40 Kindergärten unplugged in der Region. Die Musiker brachten zwei batteriebetriebene Verstärker für Gitarre und Bass mit, während die Kindergärten bei der Open-Air-Veranstaltung für den nötigen Abstand während des 25-minütigen Konzerts sorgten. „Wir waren unter anderem in Bielefeld, Herford, Lemgo und Detmold. Die Auftritte im Kreis Gütersloh mussten leider wegen der hohen Infektionszahlen bei Tönnies ausfallen. Für uns Musiker war es toll, endlich wieder vor Publikum zu spielen. Wir wurden von der Fröhlichkeit der Kids getragen.“ Auch die AWO in Dortmund wurde auf die Kindergarten-Tour aufmerksam und buchte Randale für 40 Einrichtungen. „Wir klingen natürlich durch die Unplugged-Nummer etwas anders als wir es als Rockband normalerweise tun. Das ist eher vergleichbar mit Straßenmusik.“ Auch die Sponsoren waren glücklich, wenn sie die von den Kindern gemalten Bilder vom Randale-Tag in ihrem Kindergarten zugeschickt bekamen. Leider ist das Konzept nicht auf Grundschulen übertragbar, weil dort zu viele Kinder wären.

Mit Online-Konzerten, bei denen die Zuschauer freiwillig Eintritt bezahlt haben, hat Randale ebenfalls gute Erfahrungen gemacht. Überhaupt: Der Kontakt zur FanBase mittels Facebook funktionierte gut. Aber dafür hat Jochen Vahle – neben den zahlreichen Geburtstagsständchen – auch viel getan. Jeden Tag wurde ein Video von einem aktualisierten Randale-Song gepostet. Manchmal gab es einen Sponsor, wie zum Beispiel Harley Davidson, der sich standesgemäß das Lied vom „Hardrock Hasen Harald“ gewünscht hatte, manchmal waren es Familien, die gespendet haben oder ein kleiner Junge, der 8,62 Euro in einen Umschlag packte und bei Newtone in den Briefkasten warf.

Es bleibt schwierig, aber es geht

Für viele Menschen in der Kulturbranche ist die Krise nach wie vor existenzbedrohend – auch wenn es Lockerungen gibt. „Veranstaltungen, das merken wir bei Randale, aber auch im Zweischlingen, sind keine Selbstläufer mehr“, so der Musiker und Veranstalter. „Die Leute gehen gar nicht davon aus, dass überhaupt irgendetwas stattfindet und sind verunsichert, ob sie sich anstecken könnten. Momentan fi nanziert Randale unsere Agentur Newtone, die die Band vor 16 Jahren aufgebaut und seither begleitet hat.“ Da alle Newtone-Mitarbeiter in Kurzarbeit sind, bestreiten Tom Kummerfeldt und Jochen Vahle das Agenturgeschäft zurzeit allein. Zu tun gibt es genug. „Ich freue mich wirklich sehr darüber, dass die meisten unserer Konzertbesucher so geduldig sind und auf Ersatztermine warten. Nur sehr wenige wollten ihr Eintrittsgeld zurück.“ Grundsätzlich ist Jochen Vahle mit den getroffenen Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie völlig einverstanden. „Erst rückwirkend werden wir sagen können, ob es richtig war oder nicht. Aber wenn wir gucken, wie es in einigen Nachbarländern mit so vielen Toten gelaufen ist, waren wir hier von einem solchen apokalyptischen Chaos weit entfernt. Es kann also nicht alles grundsätzlich falsch sein. Meine Frau ist Krankenschwester und hat keine tausenden Fällen erlebt, bei denen die Menschen gestorben sind. Wenn wir Menschenleben schützen können, dann müssen wir das machen.“ Die Organisation von Konzerten und die Aufrechterhaltung der Agentur erforderte viele Abstimmungsprozesse. Die Zusammenarbeit mit den Ämtern, sei es das Kultur-, Gesundheits-, Arbeits- oder das Ordnungsamt, habe wunderbar geklappt. „Die Soforthilfe des Landes, für die die Bezirksregierung in Detmold zuständig war, hat ebenfalls geholfen. Es war ein starkes Signal, dass die Bezirkspräsidentin und ihre komplette Behörde das Wochenende durchgearbeitet hat, als die Hilfen ab dem 27. März, das war ein Freitag, beantragt werden konnten. Jetzt bekommen wir ein Künstlerförderungsstipendium.“ Und was ist mit den Kids, die im Herbst Geburtstag haben? „Sollte es im November einen Lockdown geben, dann singe ich wieder“, verspricht Jochen Vahle.

Fotos: privat

Text: Eike Birck

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