FRAUEN IN DER FOTOGRAFIE

Katharina Bosse

Die Fotos sind, in dem Moment in dem sie entstehen, Vergangenheit.

SIE STEHT AUF DER NOMINIERTEN-LISTE ALS CITYARTIST 2021. KATHARINA BOSSE IST EINE VON 21 KÜNSTLER*INNEN, DIE VOM NRW KULTURSEKRETARIAT AUSGEWÄHLT WURDE. „ICH FREUE MICH DARÜBER SEHR“, SAGT DIE INTERNATIONAL RENOMMIERTE BIELEFELDER FOTOKÜNSTLERIN. SEIT 2003 LEHRT SIE ALS PROFESSORIN FÜR KÜNSTLERISCHE FOTOGRAFIE AN DER FH BIELEFELD, HAT 2018 DIE PROJEKTGALERIE „ELSA“ IN BIELEFELD GEGRÜNDET UND GERADE WIEDER IHRE MUTTERBILDER – IHRE GANZ PERSÖNLICHE AUSEINANDERSETZUNG MIT DEM MUTTERSEIN – IN DER VON INGO TAUBHORN KURATIERTEN AUSSTELLUNG „FAMILY AFFAIRS“ IN DEN DEICHTORHALLEN HAMBURG PRÄSENTIERT.

Vertraut, verstörend, vielschichtig. Bis heute hat ihre Fotoserie „A Portait of the Artist as a Young Mother“ an Aktualität und Anziehung nichts verloren. Ihr fotografischer Blick stellt existierende Normen, Konventionen und Rollenbilder in Frage. Katharina Bosse spiegelt mit ihrer Bildserie die Auseinandersetzung und Selbstfindung als Mutter. Wird selbst zur Projektionsfläche und setzt der gesellschaftlichen Sprach- und Bildlosigkeit etwas entgegen. „Die Serie ist so aktuell, wie zum Zeitpunkt ihres Entstehens“, erklärt die 53-Jährige. Ihre Kinder sind inzwischen 14 und 16 Jahre alt. Die Auseinandersetzung mit ihrer Rolle als Mutter und Künstlerin begleitet als prägende Konstante ihre Karriere. Selbstbewusst umgesetzt in einem weiteren Projekt. Seit 2014 ist eine Serie von poetischen Kinderporträts entstanden. Auch hier sind ihre Kinder Teil des Ganzen. Den fotografischen Roadtrip, der auch im 21. Jahrhundert meist männlich assoziiert und mit einer EinsamenWolf-Attitüde verbunden scheint, weitet sie. Mit eigner Perspektive. Allein mit der Kamera quer durch Amerika zu reisen kam für sie als alleinerziehende Mutter nicht in Frage. „Also habe ich meine beiden Kinder mitgenommen. Wir waren als Herde unterwegs“, sagt Katharina Bosse, die in Finnland geboren wurde, in Kanada und Kirchzarten im Breisgau aufwuchs und schließlich FotoDesign an der Fachhochschule Bielefeld studierte. Sie hat sich bewusst für das sehr männlich besetzte Genre Roadtrip entschieden, dem sich nur wenige Frauen widmen. Und hat Zweifel, ob man künstlerische Porträts von nahestehenden Menschen machen kann, ebenfalls hinter sich gelassen. Auf ihren Trips durch die USA, Frankreich, Italien und Deutschland.

„In jedem dieser Kinderporträts steckt Melancholie“, betont Katharina Bosse, die sechs Jahre in New York lebte und dort neben ihrer künstlerischen Arbeit als Magazinfotografin für Titel wie das New York Times Magazine, den New Yorker oder Geo tätig war, ehe sie nach Bielefeld zog. „Die Fotos sind, in dem Moment in dem sie entstehen, Vergangenheit.“ Davon zeugt auch die zurückgenommene Farbigkeit. Den Bildern haftet etwas Verblichenes an. Auch dadurch ist diese Bildserie zeitlich schwer zu verorten. „Es könnten auch Fotos aus meiner Kindheit sein“, stellt Katharina Bosse mit Blick auf die Porträts fest, die – analog vergrößert – auf abgelaufenem Fotopapier entstanden sind. Sie haben etwas Schnappschussartiges. Die Kleidung etwas Zeitloses. Dennoch sind es keine Schnappschüsse, sondern sorgfältig inszenierte Aufnahmen, die Spielraum für Projektion und Reflexion bieten. „Da stecken viele Stunden Vorarbeit drin“, erzählt Katharina Bosse, der kleinste Details wichtig sind.

Sie taucht tief in ihre Projekte ein. Viele entwickeln sich über Jahre weiter, wie die künstlerische Auseinandersetzung mit den Thingstätten. Mit der Neuauflage der „Thingstätten“ (erscheint in zweiter Auflage aktualisiert im Geymüller Verlag für Architektur, Aachen) präsentiert Katharina Bosse das Ergebnis eines interdisziplinären wie internationalen Projektes. Vielstimmig. Mehrschichtig. Aus unterschiedlichen Blickwinkeln. 23 Fotografinnen, Künstlerinnen und Wissenschaftler*innen haben sich mit den Thingstätten in Deutschland beschäftigt. Und so trifft in dem Buch Dokumentarfotografie auf freie Kunstprojekte, wissenschaftliche Beiträge und Essays. Die Thingstätten selbst, ideologisch motiviert zwischen 1933-36 für propagandistische Zwecke als Freilichtbühnen und Versammlungsplätze des Nationalsozialismus erbaut und genutzt, sind heute noch in Deutschland, Polen und Russland auffindbar. 400 waren geplant, 60 wurden errichtet. Einige, wie die Loreley Bühne, das Freilichttheater in Bad Segeberg oder die Waldbühne in Berlin werden auch aktuell genutzt, wieder andere sind verfallen. „Es hat lange gedauert ein System zu entwickeln, um die entstanden Arbeiten in einem Buch abzubilden“, so Katharina Bosse, deren Werke international ausgestellt und Bestandteil zahlreicher Sammlungen wie dem MoMA in New York sind. Mit den „Thingstätten“ hat sie ein Projekt realisiert, das sich vielschichtig mit der Bedeutung der Vergangenheit für die Gegenwart beschäftigt. Denn hinter jeder Arbeit steht auch die Frage, was es heute bedeutet auf die deutsche Vergangenheit zu blicken.

2012 entwickelte Katharina Bosse das Konzept für das Projekt, das über die gebundene Form hinausgeht. Das Ergebnis liegt als umfangreiches Archiv auch auf der zur Forschung und Vernetzung konzipierten Plattform www.thingstaetten.info. „Die Webseite wächst weiter und soll den Netzwerkcharakter des Projekts verdeutlichen“, formuliert Katharina Bosse ihren Ansatz. Denn auch in Zukunft sollen Forscherinnen, Künstlerinnen und „Citizen Science“-Akteur*innen die Seite bereichern. Wie man informativer mit diesen ‚Denkmälern‘ und ihren Spuren umgehen kann, ist für Katharina Bosse eine wesentliche Frage, die sich auch durch die Arbeit an dem Projekt herauskristallisiert hat. „Die Thingstätten – architektonisch die größten Kulturprojekte im dritten Reich, gleichzeitig wenig erforscht und bekannt – spiegeln die damalige Zustimmung zum Regime, damit sollte man sich auseinandersetzen“, so Katharina Bosse. Ein Beispiel dafür ist der amerikanische Fotograf Doug Fitch, der die Herchen Thingstätte für eine Performance nutzte, die konträr zu dem ehemals nationalsozialistischen Ort steht. „Er hat die Menschen vor Ort in sein Projekt eingebunden und damit die Beziehung der Menschen zu der alten Thingstätte verändert“, macht Katharina Bosse deutlich. Ein Bewusstsein für diese Orte zu schaffen, ist ihr wichtig. Tafeln, die diese Orte kennzeichnen, fände sie richtig. „Damit man weiß, wo man sich befindet“, erklärt die Bielefelder Fotografin.

Ihr Engagement zeichnet sie aus. Nicht nur, wenn es um ihre künstlerische Arbeit geht. Katharina Bosse ist Mitglied des FotografinnenKollektivs „Female Photographers Org“. Dies versteht sich als feministische Antwort auf die mediale und gesellschaftliche Repräsentation von Frauen in der Fotografie. Ein Thema, das Katharina Bosse immer wieder und auf unterschiedlichen Ebenen bewegt. Noch in den Startlöchern steckt ihre neueste Bildserie. Hierbei beschäftigt sie sich zurzeit mit der symbolhaften Abwesenheit von Frauen im nächtlichen Raum, aber auch in der Fotografie. In ihre Fotos baut sie Pin-upmäßige 3D- Figuren aus dem Modellbau ein, die sie zum Objekt des Blicks macht. Vor nächtlicher Kulisse auf verlassener Straße. Allesamt weibliche Figuren, die durch eine Kamera blicken. Und vielleicht symbolträchtig für ihr Engagement von Künstlerinnen. Frauen zu fördern ist Katharina Bosse ein Bedürfnis. Und etwas, wofür sie sich einsetzt. Auch dafür bietet der Kunstraum Elsa Raum. „Deshalb habe ich das Elsa-Stipendium für alleinerziehende Künstlerinnen – eine unterförderte Gruppe in der Kunst – auf den Weg gebracht“, erklärt sie. Gern würde sie das AlleinerziehendenStipendium fortführen. Noch sucht sie eine Sponsorin oder einen Sponsor.
www.katharinabosse.com

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