Potenzial für Veränderung

Interview mit Kunsthallendirektorin Christina Végh

„Das war ein unvergesslicher Start“, blickt Christina Végh auf die ersten Monate als neue Direktorin der Kunsthalle Bielefeld zurück. Der Beginn ihrer Amtszeit fiel nämlich genau mit dem Shutdown zusammen. „aber so habe ich sicher den Teutoburger Wald viel besser kennen gelernt“, nimmt es die Schweizerin mit Humor. Inzwischen konnte die 48-jährige einige Begegnungen mit den anderen kunst- und Kulturschaffenden der Stadt nachholen und die Kunsthalle wieder für das Publikum öffnen. Und Pläne für die Zukunft hat Christina Végh auch geschmiedet.

WAS HAT IHR EIGENES INTERESSE AN DER KUNST GEWECKT?

Christina Végh: Es gab ein einschneidendes Erlebnis als Teenager, als ich mit meinen Eltern in Rom war. All die Kirchen und Museen fand ich langweilig, bis ein Freund meiner Eltern dazukam, ein Architekturhistoriker. Der hat dann angefangen, über die Kirchen und Palazzi zu sprechen und da wurde das Langweilige für mich zum Krimi. Es war eine Initialzündung zu merken, dass sich hinter all diesen Formen, Farben und Bauten Geschichten verbergen, die mich interessieren. Und die mich im besten Fall auch etwas angehen, selbst wenn sie aus der Vergangenheit kommen. Das Heute ist nicht denkbar ohne das Gestern – diese Zusammenhänge haben mich zur Kunst gebracht.

WIE MÖCHTEN SIE ANDERE MENSCHEN FÜR KUNST BEGEISTERN?

Christina Végh: Die Aufgabe eines Ausstellungshauses ist es, die bildende Kunst einem breiten Publikum vorzustellen. Es ist mir ein großes Anliegen, möglichst vielen und möglichst unterschiedlichen Menschen die Kunst näher zu bringen. Wie man das macht, dafür gibt es nicht eine einzelne Lösung, sondern viele Wege. Aber ich glaube, dass es wichtig ist zu vermitteln, dass Kunst für jeden einzelnen in seinem eigenen Alltag, in seiner eigenen Realität etwas verändern kann.

Für mich persönlich bedeutet eine gute Ausstellung, mich mit Dingen zu beschäftigen, auf die ich selber gar nicht gekommen wäre. Ich bin offen für Neues, lasse mich gerne überraschen. Und zuhause merke ich dann vielleicht, dass ich mein Leben plötzlich minimal anders sehe, weil mir die Ausstellung eine Anregung gegeben oder eine Frage gestellt hat. Das gelingt bestimmt nicht nonstop und nicht bei jedem, aber das versuche ich zu vermitteln. Meine Aufgabe ist es, KünstlerInnen und ihr Werk so vorzustellen, dass Menschen auf die Idee kommen, hier etwas erleben oder erfahren zu können, was sie selbst in ihrem eigenen Leben weiterbringt. Ein weiterer Antrieb meiner Arbeit ist, wie sehr Kultur zu einer gesellschaftlichen Identität beiträgt. Wie in jeder politischen Debatte, in jedem Zeitungsartikel verhandeln wir in der bildenden Kunst Werte. Kunst ist nicht Politik, aber ein Ort der Reflexion. Hier können wir uns darin üben, Fragen zu stellen und erleben, dass es auf eine Frage oft viele Antworten gibt. Gute Fragen zu stellen, ist an sich schon die höchste Kunst. Im Idealfall ist ein Museum ein Ort, um Werte zu besprechen, zu diskutieren, eine Gemeinschaft zu bilden, die offen ist für alle.

Aber ich glaube, dass es wichtig ist zu vermitteln, dass Kunst für jeden einzelnen in seinem eigenen Alltag, in seiner eigenen Realität etwas verändern kann.

Christina Végh

WIE NEHMEN SIE DIE KUNSTHALLE ALS AUSSTELLUNGSORT WAHR?

Christina Végh: Über die einmalige Architektur ist schon so viel berichtet worden, dass ich da gar nichts hinzufügen mag. Viele Menschen nennen die Kunsthalle eines der schönsten Ausstellungshäuser in Deutschland. Mit den Vorbereitungen meiner ersten eigenen Ausstellung – „Lover’s Material“ von Monica Bonvicini, die am 10. Oktober startet – lerne ich das Gebäude jetzt noch besser kennen. Ausstellungen sind hier eine besondere Herausforderung, weil Philip Johnson der Kunst ganz klar ihren Platz zugewiesen hat. Das heißt, man arbeitet in einem starren Korsett. Damit auf konstruktive Weise umzugehen, wird bei Monica Bonvicini eine Rolle spielen, denn die international renommierte Künstlerin beschäftigt sich in ihrem Werk zentral mit Architektur und Raum. Sie ist bekannt für ihre raumspezifischen Installationen, welche die Architektur von Kunstinstitutionen, aber auch Gender-Themen auf humorvolle Art dekonstruieren. Wer nimmt welchen Platz ein und welche Freiheit nehme ich mir in welchem Raum? Das ist auch eine gesamtgesellschaftliche Frage.

APROPOS RAUM: WELCHE ERWARTUNGEN HABEN SIE AN DIE SANIERUNG DER KUNSTHALLE?

Christina Végh: Seit Amtsantritt bin ich in Sitzungen, wo wir baulich festhalten wollen, was wichtig ist, damit ein Ausstellungsbetrieb in Zukunft gut stattfinden kann. Seit dem Bau der Kunsthalle 1968 haben sich auf Seiten der BesucherInnen und der KünstlerInnen die Erwartungen an ein Ausstellungshaus verändert. Dem muss Rechnung getragen werden. Ausstellungstechnisch träumt man vielleicht von einem Raum, der nicht so stark durch die Architektur vorgegeben ist, der einen künstlerisch freieren Umgang ermöglichst. Aber zuerst einmal würde ich sagen, dass Vermittlung, Café und Depot drei substantielle Träger und für das Haus extrem wichtig sind. Beim Depot geht es ganz klar um Kosten, die man hat, wenn man Dinge auslagern muss. Dass ein Depot, das man 68 geplant hat, nicht mehr annähernd ausreicht, kann man sich sicher vorstellen. Bei der Vermittlung geht es um unsere Hauptaufgabe, die wir nur eingeschränkt umsetzen können. Dabei ist das Tolle an der Kunsthalle gerade, dass sie eines der ersten Häuser in Deutschland war, das einen eigenen Raum für die Kunstvermittlung bekommen hat. Die Malstube war 68 der totale Renner, aber heute ist sie viel zu klein für unsere Verhältnisse. Menschen, die Interesse an den Angeboten haben, aus Kapazitätsgründen abweisen zu müssen, geht natürlich gar nicht. Außerdem hoffe ich, dass wir eine bessere Infrastruktur für das Café schaffen können. Ein Ausstellungshaus braucht immer einen Ort, wo man sich treffen kann, wo man miteinander spricht und sich austauscht.

WANN DIE SANIERUNG BEGINNT, STEHT JA LEIDER NOCH NICHT FEST (STAND 9.9.20), ABER GIBT ES SCHON PLÄNE FÜR AUSSTELLUNGEN IM JAHR 2021?

Christina Végh: Ja, zum einen wird es eine Ausstellung mit der amerikanischen Künstlerin Nicole Eisenman geben. Manchen ist sie durch die Skulpturprojekte Münster ein Begriff, für die sie einen Brunnen mit Figuren geschaffen hat, der jetzt auch angekauft wurde. Die Ausstellung „Köpfe, Küsse, Kämpfe. Nicole Eisenman und die Moderne“ wird in Kooperation mit dem Kunstmuseum Den Haag sowie der Fondation Vincent van Gogh stattfinden und auch Werke aus der eigenen Sammlung einbeziehen. So wird es zu einer Konstellation mit der klassischen Moderne kommen, die so wie Eisenman heute die gesellschaftlichen Verwerfungen ihrer Zeit thematisiert hat. Außerdem ist eine Ausstellung zu Jacoba van Heemskerck geplant, einer niederländischen Künstlerin des Expressionismus. Bereits im Oktober startet ein Projekt, das in Zukunft regelmäßig Werke aus der Sammlung in Beziehung setzt zu einem Werk der Gegenwart. Wir fangen mit dem Denker von Rodin an. Es wird einen zweiten Denker hier in der Ausstellung geben, eine Arbeit von Jeff Wall, die er auch „The Thinker“ nennt. So können wir uns mit den beiden Denkern auseinandersetzen. Außerdem wird Rodin auf Reisen gehen. In Bezug auf die vorübergehende Lücke vor unserem Haus werden wir anregen, dass sich BürgerInnen und Bürger Bielefelds in der einen oder anderen Art auf den Sockel stellen.

Fotos: Veit Mette, Janice Jensen

Interview: Stefanie Gomoll

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„Ich liebe meine Arbeit noch immer. Bei meinen Reisen lerne ich andere Menschen und Kulturen kennen, komme ihnen nah. Das bereichert mein Leben. Denn auch im Chaos von Überschwemmung, Erdbeben…

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jamel sghaier


Wir sitzen in seinem Garten, die Sonne scheint, die Vögel zwitschern. Immer wieder schweift sein Blick in die Natur. Für den 64-jährigen ist Kunst eine ganzheitliche und dabei sehr persönliche Erfahrung. Eine, die er am Ende des Prozesses teilt, wenn er mit seiner Kunst in die Öffentlichkeit geht. „dann wird daraus eine kollektive Erfahrung“, erklärt Jamel Sghaier.